Gott wirkt durch uns

Am zweiten Fastensonntag stellt die Kirche uns in der Lesung die Worte des hl. Apostels Paulus aus seinem ersten Brief an die Thessalonicher vor:
„Und nun, Brüder, bitten und ermahnen wir euch im Herrn Jesus, dass ihr so, wie ihr von uns belehrt worden seid über den rechten und Gott wohlgefälligen Wandel und, wie ihr ja schon wandelt, noch weiter voranschreitet. Ihr wisst ja, welche Anweisungen wir euch gaben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes: eure Heiligung“ (1Thess. 4,1ff).
Dass Gottes Wille unsere Heiligung ist, bezeugt auch Jesus selber, wenn er sagt:
„Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt. 5,48).
Offensichtlich sind wir also dazu berufen, Heilige zu werden. Manchmal meinen wir, heilig sein ist nur etwas für einen erlesenen Teil der Bevölkerung – nur für solche, die in den Heiligenbüchern stehen, nur für die Priester und Ordensleute, die sich in besonderer Weise in den Dienst Gottes gestellt haben. Die oben zitierten Stellen aus der Heiligen Schrift zeigen uns aber deutlich, dass jeder von uns berufen ist, ein Heiliger zu werden. Und berufen sein heißt nicht, man kann es sich noch überlegen, ob man dem Ruf folgt oder nicht. Berufen sein heißt, dass man tatsächlich zu etwas bestimmt ist.
Mancher mag diese Erkenntnis als Bedrängnis empfinden, missgestimmt sein darüber, dass eine so hohe Anforderung an ihn gestellt wird, dass Jesus von ihm ein, wie manche meinen, so hartes, anstrengendes und langweiliges Leben verlangt. Man kann diesen Ruf Jesu aber auch als Aufmunterung und Ansporn sehen.
Während „heilig sein“ heute einen etwas faden Beigeschmack hat, etwas von weltfremd, niedergeschlagen, freudlos, so erscheint dieser Zustand doch in einem ganz anderen Licht, wenn wir ihn mit “vollkommen” oder “ganz gut” beschreiben – denn nichts anderes ist ja die Heiligkeit.
Und wer von uns möchte schon nicht gerne vollkommen, ganz gut sein, ganz mit Gott vereint, ganz in Ihm ruhend, ganz in Ihm und Seinem Frieden versenkt?
Doch dann meldet sich in uns wieder die andere Stimme: „das schaffst du doch nie – dafür muss man schon aus einem anderen Holz sein“. Gerade in solchen Situationen stellt die Anforderung Jesu eine hilfreiche Ermutigung dar. Wissen wir doch, dass Gott nichts Unmögliches verlangt. Wenn Gott also von uns erwartet, dass wir vollkommen sind, dann können wir das auch.
Zum Heiligsein gehört ganz wesentlich, dass wir ein übernatürliches Leben führen. Deutlich kann ich mich an die Worte unseres Bischofs, Bischof Pivarunas, erinnern, die er uns besonders im Rahmen der Vorbereitungsexerzitien für unsere Weihen eingeschärft hat: „Ihr müsst ein übernatürliches Leben führen“.
Das heißt auf der einen Seite, dass sich unser äußeres Leben von einem rein natürlichen Leben, dem Leben, wie es ein Mensch ohne Gott führen würde, unterscheidet. Damit aber unser Leben äußerlich übernatürlich wird, muss schon unser inneres Leben übernatürlich sein. Wir müssen eine übernatürliche Sichtweise der Dinge haben. Das wichtigste, das entscheidende dabei ist, dass wir an die Realität Gottes lebendig glauben, dass wir an Sein Wirksam-werden in unserem Leben glauben, sprich, dass wir Gott als Person sehen, mit der wir in unserem Leben rechnen können.
Immer wieder wird uns unsere eigene Schwäche und Unzulänglichkeit und die Tatsache, dass wir bestimmte Dinge einfach nicht in der Hand haben, bewusst. Sei es in der Verrichtung äußerlicher Werke, sei es in der inneren Arbeit an unserer Seele, sei es in der Verrichtung unseres Apostolates in der Welt. Dann ist der günstige Zeitpunkt, sich der Realität und des Wirkens Gottes bewusst zu werden, der Realität und des Wirkens Gottes auch in unserer Seele, der günstige Augenblick, sich ganz Gott zu überantworten und Gott mit Seiner Allmacht in uns wirken zu lassen.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir die oben erwähnte übernatürliche Sicht der Dinge haben und infolgedessen lebendig an die Gegenwart Gottes glauben, an Sein Innewohnen in uns und Sein Wirken in uns.
Besonders deutlich schildert der hl. Johannes in seiner Darstellung der letzten Worte Jesu an seine Jünger dieses Inne-leben Jesu in uns.
„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten, und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Helfer geben, damit er immerfort bei euch bleibe, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr. Ihr aber werdet mich sehen, weil ich lebe und auch ihr leben werdet. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (Jo 14,15 ff).
Oder an einer anderen Stelle: “Ich habe die Herrlichkeit, die du mir gabst, ihnen gegeben, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind: ich in Ihnen und du in mir, so dass sie vollkommen seien im Einssein und die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast” (Jo 17,22f).
Jesus spricht also sehr deutlich davon, dass Er in uns sein wird. Dass dieses Innewohnen Jesu nicht eine bloß passive Gegenwart, sondern eine aktive, tätige, nach Frucht strebende ist, zeigt Jesus ein wenig später im Bild vom Weinstock:
„Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe. Ihr seid bereits rein durch das Wort, das ich zu euch gesprochen habe. Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe nicht von sich aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben; wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Jo 15,1ff).
Immer wieder unterrichtet uns Jesus davon, dass Er uns beistehen wird. Nicht zuletzt, wenn Er vom Kommen und Wirken des Hl. Geistes spricht, denn das Wirken des Hl. Geistes ist Jesu Wirken in uns. Der Hl. Geist verkündet nämlich nichts, was Er nicht vorher vom Vater und vom Sohn “genommen” hat. “Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch zur vollen Wahrheit führen; denn er wird nicht von sich aus reden, sondern was er hört, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkünden. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem Meinen nehmen und euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; deswegen sagte ich: Er wird von dem Meinen nehmen und euch verkünden” (Jo 16, 13ff).
Wie aktiv dieser Beistand des Hl. Geistes sein wird, zeigen folgende Worte Jesu: „Nun aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat, und keiner von euch fragt mich mehr: Wohin gehst du? Vielmehr ist euer Herz voll Traurigkeit, weil ich euch das gesagt habe. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden“ (Jo16,5ff). Kann sich die Gott liebende Seele etwas besseres vorstellen, als mit Jesus leben zu dürfen, wie die Apostel mit Jesus gelebt haben? Trotzdem sagt Jesus, dass es gut ist für die Apostel, wenn Jesus geht, weil dann der Hl. Geist, der Helfer, kommt. Bedenken wir, dass der Hl. Geist nicht nur den Aposteln selber verheißen war, sondern in ihnen auch der Kirche bis ans Ende der Welt! Dann sehen wir, wie wenig Grund wir haben, die Apostel für ihr Leben mit Jesus während Seines irdischen Lebens zu beneiden. War es doch offensichtlich selbst für die Apostel gut, dass Jesus in Seiner sichtbaren Gestalt sie verlassen hat, da sonst der Hl. Geist nicht zu ihnen gekommen wäre.
Welch schöner, Frieden spendender und Mut vermittelnder Gedanke – Gott in sich wirken zu lassen. Das gibt Mut und Fähigkeit zu allem. Es schenkt die Nähe Gottes selbst in der einsamsten Situation. Man zieht sich einfach in sich zurück und spricht dort mit Gott, der in uns wohnt.
Jesus sagt einmal: “Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. Eine größere Liebe hat niemand, als wenn er sein Leben hingibt für seine Freunde” (Jo 15,12f).
Jesus hat diese Liebe, die so groß ist, dass Er Sein Leben für uns hingegeben hat. Oder denken wir an die Worte von den Vögeln des Himmels und den Lilien auf dem Felde. Sie säen nicht und sie spinnen nicht, denn unser himmlischer Vater sorgt für sie. Denken wir daran, wie Er zu den Juden sagt: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wieviel mehr wird der Vater im Himmel Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten“ (Lk 11,13)! Wenn wir also die Liebe Jesu und die Fürsorge des Vaters sehen, wenn wir sehen, dass Jesus uns versprochen hat, dass Er durch uns wirken will und wird, wie leicht sollte es uns dann fallen, uns ganz Seiner Sorge zu übergeben und Ihn durch uns wirken zu lassen. Dann können wir uns in Ihn fallen lassen und voll Zuversicht und Vertrauen unsere Unternehmungen in Angriff nehmen, denn die Kraft und der Erfolg kommt dann von Gott!
Üben wir dieses In-der-Gegenwart-Gottes-Leben und das Uns-Ihm-Übergeben immer wieder mit kleinen inneren Akten, ganz besonders, wenn wir uns Aufgaben gegenüber sehen, die uns zu überwältigen scheinen. Dann wird diese Haltung immer mehr zu einer inneren Gewohnheit werden, bis wir einmal jeden Augenblick unseres Lebens in der Gegenwart Gottes verbringen und uns jeden Augenblick als Werkzeuge in den Händen Gottes sehen, die nicht mehr selber leben, sondern durch die Christus lebt!

P. Johannes Heyne


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